Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang

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Artikel: Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang

Eine Nachtschicht auf der Linie RE1 in Berlin-Brandenburg

Nach zwei Uhr fahren meistens keine Züge mehr – was passiert dann  eigentlich in einer Nachtschicht? Genau dann, wenn die Züge nicht im Einsatz sind, werden sie gereinigt und auf sicherheitsrelevante Aspekte überprüft. Aber seien wir nicht vorschnell, denn das passiert erst, wenn die letzte Zugfahrt mit Fahrgästen beendet ist.  

Wir begleiten in der Nacht vom ersten auf den zweiten Juni den Triebfahrzeugführer Sebastian Präkelt auf der RE1 in Berlin- Brandenburg. Kurz vor ein Uhr nachts endet die letzte Fahrt in Magdeburg. Bereits einen Bahnhof zuvor kam der Kundenbetreuer in den Führerstand. Er kümmert sich auf  dem letzten Abschnitt der Fahrt primär darum, dass auch alle an der Endstation aussteigen. Kurz nach dem Halt klingelt der Funk im Führerstand: der Kundenbetreuer bittet um Hilfe, ein Fahrgast will nicht aussteigen und die Bundespolizei ist von Nöten. Erst nachdem das Anliegen weitergeleitet und das Problem gelöst wurde, geht es als Leerfahrt zum Betriebsbahnhof Buckau.

Prüfgang: Ist innen und außen alles in Ordnung?

Ein Telefonat mit der Weichenwärterin vor Ort gibt Auskunft: es muss zunächst 30 Minuten gewartet werden, das Reinigungsgleis ist aktuell besetzt. Aber auch diese Zeit kann gut genutzt werden. Mit geübten Blicken und einer Taschenlampe ausgerüstet überprüft Sebastian Präkelt Wagen und Lok zunächst von außen auf Mängel oder Auffälligkeiten.

Sind die Drehgestelle und Radsätze und Anbauteile wie Federn des Zuges in Ordnung? Ist die Technik oben auf der Lok unbeschädigt – speziell der Stromabnehmer und der Hauptschalter? Funktioniert die Sandstreueinrichtung, die im Notfall zusätzlich zur Bremsung Sand auf den Schienen verteilt, womit die Reibung zwischen Rad und Schiene erhöht und der Bremsweg verringert wird?

Auch Innen gibt es einiges zu erledigen. Sind noch alle Feuerlöscher an ihrem Platz, funktionieren die WCs und Türen? Mit den entsprechenden Schlüsseln am Schlüsselbund kann auch nachgeholfen und auf Elektronik im Zug zugegriffen werden. Zum Beispiel die Stördiagnose-Schalttafel im Reisezugwagen, der ähnlich eines Sicherungskastens in der Wohnung in jedem Wagen vorhanden ist.

Dann geht es zurück auf die Lok. Sebastian Präkelt hat zuvor alle Systeme heruntergefahren, um den Computern eine Pause zu gönnen - daher gilt es jetzt, alles wieder hochzufahren. Dazu zählt auch eine Überprüfung der Systeme, die die Sicherheit während der Zugfahrt gewähren.

Die Sicherheitsfahrschaltung, kurz Sifa, unter anderem. Das Pedal muss während der Fahrt mindestens alle 30 Sekunden betätigt werden, damit klar ist, dass der Triebfahrzeugführer aufmerksam ist. Ist das nicht der Fall, leuchtet zunächst ein Warnlicht auf, dann ertönt ein Audiosignal – zu guter Letzt leitet der Zug eigenständig eine Zwangsbremsung ein. Um sicherzustellen, dass das Pedal auch funktioniert und alle Schritte genau so ablaufen, wird so ein Fall im Stand simuliert.

Reinigung und Bremsprobe

Die Wartezeit ist also schnell vorbei, schon geht es zum Reinigungsgleis. Hier warten bereits die Kolleg:innen von DB Services, die den Zug von Innen reinigen. Die Ordnung auf Führerstand und Lok beizubehalten, das ist aber Aufgabe der Triebfahrzeugführer:innen. Dementsprechend wird auch hier erst einmal kurz gewischt und gekehrt.

Dann testet Sebastian Präkelt die Bremsen im Rahmen der vollen Bremsprobe – im angelegten und im gelösten Zustand. Von der Lok aus kann der Bremsvorgang gesteuert werden, anschließend geht es raus und von Wagen zu Wagen. Ein kleines Fenster zeigt dort entweder rot oder grün an – so kann sich vergewissert werden, ob der Bremsbefehl umgesetzt wurde. Auch die zusätzlichen Magnetschienenbremsen werden natürlich überprüft. Sie können via eines Knopfes außen am Zug ausgelöst werden.

Schließlich wird dann der Meldezettel zur Zugvorbereitung ausgefüllt und die Anwendung des passenden Dauerbremszettels dokumentiert, durch den die Bremskraft berechnet ist. Für jede Strecke muss hier ein gewisses Minimum gegeben sein, um eine sichere Zugfahrt zu gewährleisten, die sogenannten Mindestbremshundertstel. Im Übergabebuch wird abschließend notiert, wer den Zug zuletzt gefahren hat und ob Auffälligkeiten entdeckt wurden. Mittlerweile ist es fast vier Uhr morgens.

Bereit für den neuen Tag

Jetzt ist es fast schon Zeit für die Rückfahrt zum Bahnhof Magdeburg und die ersten Fahrgäste des Tages. Ein letztes Mal läuft Sebastian Präkelt durch den Zug, fährt die Klimaanlage hoch und stellt sicher, dass auch genug Linienkarten ausliegen. Dann geht es zum Bahnsteig und auch der Kundenbetreuer steigt wieder zu. Nach einer kurzen Begrüßung wird besprochen, ab welchem Halt die Schiebetritte aktiviert werden müssen und schon geht es los in einen weiteren Tag Fahrgastbetrieb auf der Linie RE1.

Text: Jamie Weber / punkt 3 23.6.2022