"Kinderkrankheiten kennen wir nicht"

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Artikel: "Kinderkrankheiten kennen wir nicht"

Gespräch mit Björn Rothe über den Einsatz von runderneuerten Talent 2-Fahrzeugen

Björn Rothe kommt aus einer traditionellen Eisenbahnerfamilie. Er kennt sich aus in Brandenburg. Zumindest dort, wo Bahnlinien hinführen. Denn er ist seit 2004 Eisenbahner und die ersten Jahre als Lokführer kreuz und quer durch das Land gefahren. In der Eisenbahner-Sprache heißt das, er war im „Betriebsdienst eingesetzt“, also tags, nachts, an Wochenenden.
Nach einer bestandenen Meisterprüfung zum Bahnverkehrstechniker ist er nun im Bahnbetriebswerk Berlin-Lichtenberg als Standortleiter dafür verantwortlich, dass in seinem Bereich genügend Fahrzeuge in sicherem und sauberem Zustand zur Verfügung stehen. Dazu gehören auch die Züge des Typs Talent 2 (ET442), die frisch rekonstruiert aus den Werkhallen kommen (einen Bericht darüber gibt es hier).

Woran können die Fahrgäste erkennen, dass sie in einen der aufgefrischten Triebwagen einsteigen?

Björn Rothe: Das erkennen geübte Pendler sofort. Die Wagen kommen wie aus dem Ei gepellt – es ist eben alles wie neu. Auffällig sind die weißen Streifen, die sich vom Triebkopf bis zur ersten Tür ziehen. Wir nennen sie „Racing-Streifen“, weil sie dem Fahrzeug einen schnittigen Eindruck verleihen. Eben Tempo. 
Hingucker sind auch die Piktogramme für Rollstühle und Fahrräder, die viel größer als bisher signalisieren, wo die Fahrgäste am besten einsteigen.

Und wo bekommt man sie aktuell zu sehen?

Björn Rothe: Ich empfehle zunächst die Linie RB24 zwischen Eberswalde und Senftenberg. Dort fährt in der Regel alle sechs Stunden einer unserer rekonstruierten Züge entlang. Künftig wird er auch auf der RE7 in den Fläming zu sehen sein.

Aufgearbeitetes Fahrzeug der Baureihe 442 auf dem Gleis
06102021_NES aufgearbeiteter Zug_Quelle Pablo Castagnola_web

Herr Rothe, Sie kommen so ziemlich als Erster mit den fertig rekonstruierten Zügen in Berührung, um sie dann in den täglichen Einsatz zu schicken. Wären Ihnen völlig neue Fahrzeuge lieber?

Björn Rothe: Keinesfalls. Mit Neufahrzeugen macht man erst einmal alle Kinderkrankheiten durch, die eben auch bei der Eisenbahn vorkommen. So aber erhalten wir erprobte und bewährte Technik. Und wenn es doch einmal zu einer Störung kommt, dann hat es sie in den meisten Fällen in den vergangenen Jahren schon einmal gegeben und wir wissen, was zu tun ist. Dieses Gefühl der Sicherheit möchten wir nicht missen. Ganz zu schweigen von den Kosten.

Aber lassen Sie uns nicht über die Kosten schweigen, sondern reden. Schließlich geht es ja um Steuergelder, die hier ausgegeben werden.

Björn Rothe: Die Einsparungen gegenüber der Neubeschaffung sind immens. Hierbei kommen mehrere Faktoren zusammen: Zum einen ist es der Kaufpreis eines Neufahrzeuges. Dazu kommen noch die Einsparungen durch den bei bekannter Technik nicht erforderlichen Ausbildungsaufwand für Lokführer, Kundenbetreuer und Betriebstechniker. Und man kann sich auch vorstellen, dass Wartung und Service bei eingespielter Technik viel reibungsloser funktionieren. Das rechnet sich auf jeden Fall.

Die Eisenbahnfahrzeuge müssen doch sowieso alle sechs bis sieben Jahre zur Revision. Was ist denn bei der aktuellen Auffrischung anders? 

Björn Rothe: Bei den turnusmäßigen Revisionen geht es vor allem um sicherheitsrelevante Komponenten. Vergleichen Sie das mit dem TÜV für Ihr Auto. Dabei wird vorrangig dort nachgesehen, wo es um Ihre Sicherheit geht: beim Fahrwerk, bei den Bremsen, der Beleuchtung. Im Inneren des Autos ändert sich dabei gar nichts. Bei der aktuellen Auffrischung der 41 Talent 2-Fahrzeuge geht es zusätzlich zur sicherheitsrelevanten Überprüfung auch um komfortrelevante Komponenten. Es findet eine Rundum-Qualitätsverbesserung statt.

Konkret?

Björn Rothe: Wer das Fahrzeug betritt, erlebt sofort die optische Aufarbeitung. Alles erscheint heller, freundlicher. Hinzu kommen die jetzt klappbaren Armlehnen in der 2. Klasse und die neuen größeren und zugleich bequemeren Tische. In der 1. Klasse haben auch die Sitze selbst an Breite gewonnen. Besonders gut sind die Fahrradbereiche mit Anlehnstangen statt Klappsitzen und die klare Kennzeichnung der Fahrradbereiche – sowohl außen als auch durch Intarsien im Boden. Das sorgt für eine schnelle Orientierung und mehr Verständnis zwischen den Fahrgästen.
Mit Start des neuen Netzes Elbe-Spree zum Dezember 2022 gibt es insgesamt mehr Kapazitäten und auf einigen Linienabschnitten auch einen dichteren Takt. Die Fahrgäste profitieren also in Summe von einem deutlich größeren Sitzplatzangebot im Netz.

Und wie steht es mit der Kommunikationstechnik an Bord?

Björn Rothe: Selbstverständlich ist WLAN überall an Bord. Das wird die Fahrgäste freuen, die somit stets online sein können. Es erleichtert auch den Kundenbetreuern die Arbeit. Sie können schnell Anschlüsse ermitteln oder Streckeninformationen durchgeben. 

Die neue Technik bedeutet zwar einen großen Aufwand bei der jetzigen Aufarbeitung – aber es lohnt sich. Wenn zum Beispiel eine Fahrzeugdiagnose aus der Ferne möglich ist oder um die Techniker in der Werkstatt auf ein Problem einzustellen. Auch, um rasch Ersatzteile zu ordern und den Aufenthalt abzukürzen. 

Schließlich noch eine Frage an einen, der viel in Brandenburg herumkommt. Verraten Sie uns Ihre Lieblingsstrecke?

Björn Rothe: Der RE 7. Man kann in nicht mal zwei Stunden die drei Bundesländer Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt bereisen. Zusätzlich habe ich dort nach dem erfolgreichen Abschluss meiner Ausbildung meinen ersten eigenen Zug gefahren.